Psychotherapeutische Fachambulanzen
Der VDS setzt sich für die Schaffung von 6 Psychotherapeutischen Fachambulanzen in Niedersachsen ein, um ausreichende Kapazitäten für eine qualifizierte Behandlung von Sexualstraftätern zu gewährleisten.
Erste Überlegungen:
Ausgangslage: Insbesondere seit der Strafrechtsreform des Jahres 1998 gibt es Jahr für Jahr eine bedeutsame Zahl von Straftätern, insbesondere Sexualstraftäter, mit der von einem Gericht verhängten Weisung, sich einer ambulanten Psychotherapie zu unterziehen. Dies betrifft jene, die nach § 56 StGB unter Bewährungsaufsicht gestellt wurden, andere, denen im Zusammenhang mit einer Entscheidung nach § 57 StGB die Weisung zur Therapie erteilt worden ist und schließlich auch die unter Führungsaufsicht stehenden Personen (Weisung gemäß § 68 b Abs. 2 Satz 2 StGB).
Die quantitative Versorgungslage ist regional unterschiedlich und vor allem in ländlichen Bezirken mangelhaft. Hinsichtlich der Qualität bzw. der Qualifikation der zur Verfügung stehenden Psychotherapeuten sind ebenfalls Unterschiede festzustellen, soweit dies aus dem Blickwinkel des AJSD möglich ist und zugelassen wird. In Einzelfällen ist unter Therapeuten auch die Tendenz zu beobachten, sich der durch die „Fördergrundsätze" ermöglichten attraktiven Vergütung der Therapie von Straftätern verstärkt zuzuwenden und dabei die Option der Kostenübernahme durch vorrangige Kostenträger zu vernachlässigen. (Bemerkung: Approbierte Psychotherapeuten sollten auf der Grundlage ihrer fachlichen Standards immer prüfen – unabhängig von der Frage der gerichtlichen Weisung – ob eine im Sinne des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt. In erwähnten Einzelfällen beschränkten sich die probatorischen Sitzungen auf die Frage der Motivation, die idealtypisch intrinsisch sein sollte, was allerdings bei Straftätern selten zu erwarten ist und nach Auffassung von Fachleuten nicht zwingend bereits zu Beginn einer Therapie vorausgesetzt werden sollte (H.-J. Pitzing, Konzeption der Psychotherapeutischen Ambulanz, S. 2 f., Stuttgart 2002). Landesweit ist demzufolge in unterschiedlicher Ausprägung sowohl eine quantitative als auch eine qualitative Unterversorgung zu beklagen.
Da die öffentliche Wahrnehmung zum Thema Sicherheit deutlich sensibler geworden ist und natürlich nicht nur aus diesem Grunde der gesetzlich formulierte Auftrag zur Verringerung des Rückfallrisikos von Gewalt- und Sexualstraftätern von großer Bedeutung ist, muss auf die anhaltend unbefriedigende - und in Bezug auf die Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung problematische - Lage reagiert werden.
Vor diesem Hintergrund werden die folgenden Гњberlegungen angestellt, um im Sinne der Verbesserung der Sicherheit eine Alternative für die Umsetzung der gerichtlichen Weisung als spezialpräventive Maßnahme aufzuzeigen.
Struktur: Die spezielle Problematik der ambulanten Behandlung von Sexualstraftätern erfordert geschulte Therapeuten, die zum einen bereit sind, mit diesen Menschen zu arbeiten und zum anderen auch begleitend mit der Justiz zu kooperieren. Nur die Verknüpfung von Behandlung und Kontrolle gewährleistet die notwendige Transparenz für alle Beteiligten und steht einem Behandlungserfolg nicht im Wege (ebenda). Um fachlichen Anforderungen und Standards gerecht zu werden, müsste eine Psychotherapeutische Ambulanz mit approbierten Psychotherapeuten besetzt sein, ideal wäre sicherlich darüber hinaus ein Facharzt, der ggf. auch durch eine Kooperation mit einem niedergelassenen Arzt kompensiert werden könnte. Über die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter soll an dieser Stelle noch nicht konkret gesprochen werden.
Vorrangig ist die Frage der Trägerschaft zu diskutieren, also des Гњberbaus der Ambulanz. Die direkte Anbindung an den Ambulanten Justizsozialdienst Niedersachsen böte wohl die größtmöglichen Gestaltungschancen, sowohl struktureller als auch inhaltlicher Art. Da der Verfasser aber derzeit nicht einzuschätzen vermag, inwieweit dies realisierbar ist, soll hier die Variante einer Trägerschaft durch eine externe Organisation zur Debatte gestellt werden. Kirchliche und freie Träger der Wohlfahrtspflege und inzwischen auch privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen bieten Beratung und Therapie in großer Vielfalt an, dies zum Teil schon sehr lange und nachprüfbar erfolgreich und anerkannt. Eine Delegation der Einrichtung und des Betriebs einer Psychotherapeutischen Ambulanz an einen externen Träger würde den AJSD nur in geringem Maße mit zusätzlicher Arbeit belasten, aber den Auftrag zur Sicherstellung der qualifizierten Behandlung rückfallgefährdeter Sexual- und Gewaltstraftäter erfüllen.
Ein erster Schritt in Richtung Realisierung dieser neuen Struktur als Alternative zur bisherigen therapeutischen Versorgung könnte in Form eines Modellprojekts unternommen werden, das an einem ausgewählten Standort angesiedelt wird, an dem ein potenzieller Träger bereitsteht, sodass personelle und organisatorische Ressourcen ganz oder zumindest teilweise bereits vorhanden sind.
Kooperation: „Richter und Staatsanwälte müssen bei Strafentscheidungen (Vorzeitige Haftentlassung, Strafaussetzung zur Bewährung, Verhängung der Führungsaufsicht) sichergehen können, dass Sexualstraftäter umgehend eine qualifizierte Behandlung erhalten. Ansonsten wäre es oftmals nicht zu verantworten, dass solche Menschen in Freiheit leben und eventuell eine weitere Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Auch über den Behandlungsverlauf und –erfolg müssen die Justizstellen informiert werden, damit durch diese Rückmeldung über einen eventuell anstehenden Bewährungswiderruf verantwortungsvoll entschieden werden kann."(Pitzing, 2002, a.a.O.)
Auch in externer Trägerschaft sollte die Schaffung eines Fachbereichs „Psychotherapeutische Ambulanz" die Gewähr für eine gut funktionierende Kooperation zwischen den Bereichen Justiz, Strafvollzug und AJSD bieten. Die strukturellen Voraussetzungen dafür wären nach Einschätzung des Verfassers auf jeden Fall gegeben und besser als im aktuellen Setting, in dem es in hohem Maße von der persönlichen Bereitschaft zur Kooperation abhängt, ob der Informationsfluss bezüglich des Verlaufs einer Therapie funktioniert.
Finanzierung: Der Auftrag zum Schutz der Gesellschaft vor einschlägigen Rückfalltaten von Sexual-straftätern macht den Einsatz nicht unerheblicher finanzieller Mittel u.a. für die Bezahlung von Therapien erforderlich, wobei konkrete Zahlen an dieser Stelle noch nicht genannt werden können. In der Vergangenheit sind auf der Basis der В„Grundsätze für psychotherapeutische, psychiatrische und forensische Leistungen für Probandinnen und Probanden der Bewährungshilfe und Führungsaufsicht in Niedersachsen" bereits zahlreiche Behandlungen durch niedergelassene Therapeuten finanziert worden В– ein Teil dieser Mittel könnte zukünftig in eine Psychotherapeutische Ambulanz fließen. Darüber hinaus sollte die Finanzierung der ambulanten Behandlung von Sexualstraftätern nicht mehr unterscheiden zwischen Haftentlassenen und ehemaligen Maßregelvollzugspatienten, da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die im Verbund von Justiz- und Sozialministerium sowie den gesetzlichen Krankenkassen zu erfüllen, d. h. auch zu bezahlen ist.
Ausblick: Die Entwicklung in anderen Bundesländern zeigt, dass das Problem der therapeutischen Unterversorgung erkannt und Lösungen gesucht bzw. gefunden worden sind. So haben sich z. B. in Baden-Württemberg das Justiz- und das Ministerium für Arbeit und Soziales auf eine Verwaltungsvorschrift geeinigt, die die bestehenden Forensischen Ambulanzen bei den Psychiatrischen Kliniken und 2 private Träger mit der Therapie für Sexualstraftäter sowohl aus dem Vollzug als auch aus dem Maßregelvollzug beauftragt. Ob und inwieweit sich die Forensischen Ambulanzen bei den Psychiatrischen Kliniken für die Täter aus dem Vollzug eignen, die zum Teil völlig unbehandelt oder nur teilbehandelt sind, muss sich erst noch zeigen und wird von den dortigen Mitarbeitern durchaus kritisch betrachtet.
Die ausgesprochen heterogene Gruppe der Sexualstraftäter erfordert ein spezielles Behandlungsangebot, das in der Lage ist, auf die spezifischen Faktoren des Einzelfalls einzugehen, weshalb die Schaffung von Psychotherapeutischen Fachambulanzen nach bayerischem Vorbild geeignet erscheint, um die therapeutische Versorgung aller Probanden, die nicht aus dem Maßregelvollzug kommen, sicherzustellen.
Konzeption Psychotherapeutischer Fachambulanzen: Die folgende Konzeption soll für 6 in Niedersachsen zu installierende Fachambulanzen zu Grunde gelegt werden, deren Standorte Osnabrück, Oldenburg, Lüneburg, Hannover, Braunschweig und Göttingen sein sollten.
1. Voraussetzungen:
Rechtliche Voraussetzungen:
Nach einigen Gesetzesänderungen bzw. –ergänzungen ist in den §§ 56 c und 68 b Abs. 2 Satz 2 StGB geregelt, unter welchen Bedingungen Therapieweisungen auferlegt werden können. Die Psychotherapeutische Fachambulanz für Sexualstraftäter soll die Behandlung von Patienten durchführen, die eine Therapieweisung auf der o.g. Grundlage zu erfüllen haben. Die Ambulanz soll auch Behandlung anbieten für Täter, deren Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist oder die keine Weisung erhalten haben.
Die Patienten des Maßregelvollzuges werden in Niedersachsen nach der Entlassung durch die Forensischen Institutsambulanzen versorgt.
Fachliche Voraussetzungen:
Die in den Fachambulanzen tätigen Psychotherapeuten sollen über Kenntnisse der Behandlung von Sexualstraftätern und auch juristisches Wissen verfügen, zudem ist die Kooperationsbereitschaft im System der Justiz unabdingbar erforderlich. D. h. dass die Psychotherapeuten neben den Patienten auch das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft im Blick haben sollen.
Finanzielle Voraussetzungen:
Ausreichende finanzielle Mittel sind erforderlich für die Psychotherapie von Sexualstraftätern, wenn die Aufgaben Resozialisierung der Täter und Verringerung des Rückfallrisikos und damit Erhöhung der Sicherheit erfolgreich bewältigt werden sollen.
Eine pauschale Finanzierung der Ambulanzen böte den Therapeuten eine sichere und stabile Grundlage für die Arbeit mit der teils schwierigen Klientel.
2. Sexualstraftäter als Patienten
Zugang zur Fachambulanz:
Das Behandlungsangebot der Psychotherapeutischen Fachambulanzen soll Sexualstraftätern zur Verfügung stehen, die
- nach § 56 oder 57 StGB unter Bewährungsaufsicht stehen und eine Weisung nach § 56 c StGB zu erfüllen haben;
- unter Führungsaufsicht stehen mit einer Weisung nach § 68 b Abs. 2 Satz 2 StGB;
und darüber hinaus auch
- Personen, die nicht rechtskräftig verurteilt sind, aber sich in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren befinden und Selbstmeldern, die sich für gefährdet halten, aber noch nicht als Täter erkannt wurden.
Motivation:
Die aus verschiedenen Gründen wünschenswerte intrinsische Motivation der Patienten ist wohl eher selten festzustellen. Daher sollte sie nicht Voraussetzung für die Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie sein, sondern ggf. im Laufe der Therapie entwickelt werden.
Kontraindikationen:
Kontraindikationen für die Behandlung von Sexualstraftätern können u.a. sein:
Intelligenzminderung, ungenügende Sprachkenntnisse, massive Suchtmittelabhängigkeit, akute psychotische Erkrankung, zeitliche Hindernisse durch berufliche Tätigkeit oder fehlende Motivation.
3. Ziele
Zwischen Therapie und Kontrolle bewegen sich die Psychotherapeutischen Fachambulanzen auf dem Weg zum Ziel, das Rückfallrisiko von Sexualstraftätern durch die Behandlung ihrer Störungen oder Erkrankungen zu senken.
Für die erkennenden Gerichte stellen sie damit die Bereitstellung qualifizierter Behandlung sicher, sodass entsprechende Weisungen umgesetzt werden können, für die Gesellschaft sind sie die Einrichtung, die durch professionelle Arbeit das Risiko neuer Straftaten verringert, für den Vollzug, z. B. die Sozialtherapeutischen Abteilungen, bieten sie einen qualifizierten Гњbergang von stationärer zu ambulanter Behandlung, für die Patienten, die Sexualstraftäter und ggf. deren Angehörige, halten sie eine spezialisiertes Behandlungsangebot vor und für den AJSD sind sie kompetenter Ansprechpartner in der ambulanten Betreuung der Täter.
4. Therapiemethodik
und
5. Organisationsform
obliegen der konkreten Formulierung und Ausgestaltung des künftigen Trägers der Psychotherapeutischen Fachambulanzen.
Autor: Hartmut Weber (VDS Vorstandsmitglied) 07.01.2013